ÜBER DIE BESTIMMUNG
ÜBER DIE BESTIMMUNG

ÜBER DIE BESTIMMUNG

„Und wo wir schonmal da sind, da bleiben wir gleich hier ….“ – Okay, wenn Du das Lied weitersingen kannst, bist du definitiv über 40 🙂 Witzigerweise hat dieses Lied überhaupt nichts mit dem Gedanken zu tun, welcher gleich folgt, aber es kam mir in den Kopf.

Der Gedanke lautet : „Warum bin ich da und was ist eigentlich meine Aufgabe im Leben ?“

Okay, warum ich auf der Welt bin ist biologisch leicht erklärbar, doch was mache ich mit meinem Leben, wo ich schonmal da bin ? Wir als Menschen haben ein Gehirn das uns oft nützt und manchmal im Weg steht. Ich denke, es gibt kein anderes Lebewesen das sich fragt : „Was ist meine Aufgabe ?“ – oder, um ihm mehr psychischen Druck hinzuzufügen : „Was ist meine Bestimmung ?“

Im Grunde genommen können wir unsere Aufgaben auf „fressen“, „schlafen“, „reproduzieren“ und „überleben“ runterbrechen – alles andere ist schmückendes Beiwerk. Was allerdings total deprimierend klingt ist für die meisten Lebewesen in freier Wildbahn Standard. Haustiere wiederum ersetzten die Angst zu überleben häufig durch „spielen“. Mein Hund kann seit 9 Jahren jeden Tag Ball spielen, ohne das es langweilig wird – jedenfalls solange ich mitmache. Er ist nicht frei sondern befindet sich in einem Verhältnis der Abhängigkeit und macht das Beste draus. Auch meine Zwergkaninchen müssen nicht jeden Tag wie ihre Kollegen in freier Wildbahn panisch nach oben schauen, ob ein Greifvogel lauert. Sie hoppeln begrenzt in ihrem Laufstall herum und geniessen feinste Möhren und Salat. Mittlerweile sind sie so dick, das sie kaum noch hoppeln können. Erinnert mich an den Film „Wall-E“.

Daraus folgere ich : Freiheit ist gefährlich, und prompt wäre ich fast auf einen schwarzen Käfer getreten, welcher mühsam versuchte durch das Gestrüpp des Waldwegrandes zu laufen. Wo will er wohl hin ? Faszinierend dieser Mikrokosmos. Vielleicht dreht sich sein ganzes Leben auf 10qm wo ich bis nach Japan fliegen kann. Freiheit bietet auch Möglichkeiten. Wenn niemand drauftritt.

Plötzlich stand ich vor einem gewaltigen Baum – der Friederikeneiche. Sie ist eine der ältesten Eichen Deutschlands und wird auf 1200 Jahre geschätzt. Wow, ergo hat dieser Keimling sich grob im Jahre 800peng aus der Erde an die Sonne gewagt – zur selben Zeit begann die Zeit der Wikinger in Schweden. 200 Jahre später sollten sie Amerika entdecken und unsere Friederike war bereits 200 Jahre alt und sicherlich ein stattlicher Baum. Wahrscheinlich ritten die Kreuzritter an ihr vorbei und die Stadt Oldenburg wird erstmals erwähnt, wie auch der Wald in dem sie steht. Die nächsten 1000 Jahre stand sie einfach nur so rum bis zum heutigen Tag, wo ich mit einem Smartphone vor ihr stehe und ein Bild mache. Ist sie frei ?

Ich selbst werde keine 1200 Jahre alt – mit gut Glück werde ich vielleicht 80. 53 davon sind schon um. Bleiben noch 27. Geschätzt. Keiner weiß es genau. Vielleicht ist auch die Friederikeneiche nur 800 Jahre alt. Würde es einen Unterschied machen ? Ist es nicht eher wichtig, wie man gelebt, anstatt wie lange ? Würde die Eiche sich gerne mal fortbewegt haben ? Würde der Käfer gern in Sicherheit stehen bleiben ?

Fressen, schlafen, reproduzieren – hab‘ ich bis zum Tod eigentlich auch was anderes gemacht ? Klar, ich habe für Menschen gesorgt, meine Frau geliebt, meine Familie beschützt so gut ich konnte, habe meinen Kindern Werte mitgegeben, hatte viele gute Freunde und immer versucht, Menschen zu unterhalten, zu motivieren ihr Leben in die Hand zu nehmen und optimistisch nach vorne zu schauen. Das hat oft viel Freude gemacht.

Vielleicht ist das meine Bestimmung : In a world where you can be anything – be kind !

Innere Zufriedenheit ist wahrlich der Schlüssel. Im Reinen mit sich sein. Jederzeit! Nach seinen Tugenden handeln. Es braucht keine Bestimmung, wenn man achtsam seinem reinen Herzen folgt. Und jetzt im Alter lächelnd nach vorne schauen.

Prompt denke ich, das Rilke die perfekten Wörter für dieses Thema liefert :

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Was ist deine Bestimmung ?

Dein Gedankenlotse

2 Kommentare

  1. Norbert Hahn

    Moin Ralf,

    Die Frage nach meiner Bestimmung habe ich mir bisher noch nicht gestellt, aber durch Deine Gedanken beginne ich darüber nachzudenken. Sobald ich zu einem Ergebnis komme, werde ich Dich darüber informieren.

    Danke für den Denkanstoß

    Norbert

  2. Petra

    Wunderbar beschrieben. Wenn ich hier einen Spaziergang durch den Wald gehe, bleibe ich oft stehen, halte inne, lausche den Tieren, den Geräuschen des Waldes und sage „Danke, dass ich dies für eine gewisse Zeit alles erleben darf, dass ich lebe.

    Ich frage mich oft, wie es wäre, wenn wir keine Uhren und Zeitvorgaben hätten. Wären wir entspannter und friedvoller?

    Ich bin jetzt gerade 65 geworden und verstand meine eine Freundin nicht. „Das ist doch etwas Besonderes und muss gefeiert werden.“ Warum? Zur Erinnerung, dass man es bis dahin geschafft hat? Warum sollte ich mir verstärkt vor Augen halten, dass meine Zeit immer kürzer wird? Ich lebe jeden Tag und genieße meine Existenz, mal besser, mal schlechter. Braucht man dafür eine Zeitangabe? Aus meiner Sicht: Nein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert