ÜBER DIE UMSTÄNDE
ÜBER DIE UMSTÄNDE

ÜBER DIE UMSTÄNDE

Setz dich !
Ich erzähle dir zwei Geschichten über äußere Umstände und beginne mit meiner eigenen …

Die Geschichte vom rothaarigen Fussabtreter

Ich komme aus einem Elternhaus, in welchem nie genug Geld vorhanden war. Mein Vater arbeitete hart in zwei, manchmal drei Jobs als Kfz Mechaniker, um die Familie in den 70ern über die Runden zu bekommen. Meine Mutter nähte im Akkord Uniformen. Sie leisteten sich ein kleines 90qm Haus und stotterten mühsam einen 15% Kredit ab.

Auch wenn es kaum Geld gab, so gab es doch reichlich Liebe. Das auch für mich nicht alles eitel Sonnenschein war, ist euch sicherlich klar. Ob das obligatorische alkoholische Frühschoppen des Vaters, das Kettenrauchen der Eltern und Verwandten im heimischen Wohnzimmer, oder meine Zeiten als Verschickungskind, welche tiefe psychische Spuren hinterließen, gehören ebenso zu meiner Geschichte. Ich war viel zu dünn und zudem noch rothaarig mit Locken – ein gefundenes Fressen auf dem Schulhof, den ich oft aus der Froschperspektive sah.

Mit 16 Jahren beendete ich die Schule, da es üblich war, einen Job zu beginnen und daheim Kostgeld zu zahlen. An ein Abitur war trotz guter schulischer Leistung nicht zu denken. Man ging den Weg, den die Eltern vorschrieben.

Mit 20 Jahren beschloss ich meinen erlernten Beruf bei einer Behörde aufzugeben und etwas Neues zu wagen. Das Risiko war gering, rief mich doch die Bundeswehr zu meinem verpflichtenden Wehrdienst. Ich wollte diese Chance nutzen um aus dem Schatten herauszutreten und zielte hoch : Ich bewarb mich als Strahlflugzeugführer bei der Luftwaffe – höher hinaus ging es nicht.

Viele meiner Freunde und auch meine Eltern hielten mich für verrückt, das ich einen sicheren Job in der Behörde aufgebe. Niemand traute mir ernsthaft zu, das ich es schaffen könnte Pilot zu werden – was wiederum ein enormer Motivationsschub war.

Meine “Wehrflugverwendungstauglichkeit” musste ich dann in Fürstenfeldbruck unter Beweis stellen. 1000 km von daheim entfernt, fuhr ich mit meinem klapprigen Opel Kadett, den ich mir ein Jahr zuvor für 400 DM kaufte, in Richtung Alpen. Es waren herausfordernde psychologische und praktische Tests. Ich musste u.a. im Simulator ein Flugzeug mit Höhen- und Seitenruder stabil halten und parallel komplexe Matheaufgaben lösen – ich bestand diese Prüfung mit Bravour.

Beim Psychologen wurde ich mit fachlichen Fragen konfrontiert (“Wie funktioniert ein Turboprob ?, “Was bedeutet Autorotation ?”), die ich nicht beantworten konnte. Rückwirkend weiß ich, das genau dieses die Herausforderung war : “Wie würde ich auf diese Fragen reagieren ?” Ich handelte nach dem Prinzip : “Selbstsicheres Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit.”, und bestand auch diese Hürde.

Worauf ich allerdings keinen Einfluss nehmen konnte, war das medizinische Gutachten. Das Ergebnis lag außerhalb meiner Kontrolle und offenbarte eine “zu kurze PQ Zeit des Herzens, welches ein Kammerflimmern hervorrufen kann”. Fazit : Mein Berufswunsch als Strahlflugzeugführer der Bundeswehr war gestorben.

Ich kämpfte und ließ ein ziviles medizinisches Gutachten durch einen Kardiologen erstellen, welches aber nur den Befund bestätigte. Der Traum war ausgeträumt.

Enttäuscht fuhr ich zum Wehrdienstberater um das weitere Vorgehen abzusprechen. In Gedanken war ich sogar kurz bereit, wieder meinen alten Job in der Behörde fortzusetzen. Der Wehrdienstberater allerdings – sein Name war Hauptbootsmann Baudis (irre das ich mich daran erinnere) – sah mehr in mir, und empfahl mir den Job eines “Flugsicherungskontrolloffiziers”. Er schickte mich für eine Art “Praktikum” zum Fliegerhorst in Jever und ich hospitierte den Fluglotsen auf dem Tower.

Ich fing schnell Feuer und war fasziniert, wie schnell der Lotse, mit dem Mikrofon in der einen und der Pfeife in der anderen Hand den Überblick behielt – alles schien wie ein grosses Puzzle, ein gordischer Knoten der zerschlagen werden musste.
Ja, genau das wollte ich machen !

Was folgte war eine harte fordernde Ausbildung und knapp 3 Jahre als Fluglotse auf diesem Tower, bevor ich die nächste Stufe erklomm, und fortfolgend für über 24 Jahre als beurlaubter Soldat in der Radarkontrollzentrale der Deutschen Flugsicherung als Lotse arbeitete und für die Sicherheit im norddeutschen Luftraum verantwortlich war.

Dort war ich übrigens ein sehr seltenes Exemplar, denn ich hatte ja nicht mal Abitur ! 😉


Die Geschichte vom Landstreicher Kodo

Als Sawaki Roshi fünf Jahre alt war starb seine Mutter. Als er acht Jahre alt war sein Vater.
Er wurde von einem professionellen Spieler adoptiert, welcher sich nach außen als Geschäftsmann gab.
Alsbald sollte er immer öfter nach der Polizei Ausschau halten.
Sein Zuhause war der Hinterhof eines Rotlichtbezirks.
Mit 20 Jahren wird er zum Kriegsdienst berufen, verwundet und kehrt 6 Jahre später zurück.
Er findet seine Stiefmutter, eine Prostituierte, verrückt, gefesselt und kotverschmiert auf einem Stuhl vor.
Sein Stiefvater war beim Zocken, so das er zu den Nachbarn ging und blieb.
Er wurde Professor der Komazawa Universitität und einer der einflussreichsten Zen Meister Japans.

Heutzutage sagen Gangster und Schläger oft :
“Meine Lebensumstände waren schlecht”, um zu entschuldigen,
dass sie ein Verbrechen begangen haben,
für das sie ins Gefängnis kommen.

Welche Umstände sind gut oder schlecht ?
Ist es gut, arm geboren zu werden ?
Ist es schlecht, reich geboren zu werden ?

Wie schade, wenn Du – obschon als Mensch geboren –
nicht deines wahren Selbst gewahr wirst.

DAS sind wirklich schlechte Umstände!

Sawaki Roshi

(aus dem Buch : Kodo Sawaki – Die Zen-Lehre des Landstreichers Kodo erschienen im Angkor Verlag – übersetzt von Muho)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert